Ein Paradigmawechsel – Modernisierung und Umgestaltung der KV-Lehre

Die neue kaufmännische Grundbildung tritt auf Lehrbeginn 2023 in Kraft.

Ein wichtiges Ziel der KV Reform ist es, die Berufsleute darauf vorzubereiten, mit Wandel und Veränderungen umzugehen. Aktuell genügt es nicht mehr, sich in einem dynamischen Umfeld intuitiv zu bewegen. Komplexe Systeme bilden die Regel. Deshalb braucht es Strategien, um die Wechselwirkungen des Umfelds und des Tätigkeitsgebiets zu verstehen und damit umzugehen. Reines und lineares generisches Fachwissen genügt schon lange nicht mehr, um Themen wie

  • die Corona-Pandemie und ihre Folgen,
  • den Umweltschutz und den Klimawandel,
  • die Altersvorsorge,

die Jugendarbeitslosigkeit in ihren Komplexitäten zu erfassen, abzubilden und zu verstehen.

Die Modernisierung der kaufmännischen Berufsbildung nimmt einen Paradigma Wechsel von Fächer-  hin zu Handlungskompetenzorientierung vor. Im Zentrum stehen nicht mehr Fächer wie z.B. Wirtschaft und Gesellschaft, die in der bisherigen Form abgeschafft werden, sondern fünf Handlungskompetenzbereiche, die für alle Lernorte identisch sind.

  • A Handeln in agilen Arbeits- und Organisationsformen
  • B Interagieren in einem vernetzten Arbeitsumfeld
  • C Koordinieren von unternehmerischen Arbeitsprozessen
  • D Gestalten von Kunden- und Lieferantenbeziehungen
  • E Einsetzen von Technologien der digitalen Arbeitswelt

Interaktion in agilen beruflichen Systemen setzt nebst technischen Fertigkeiten auch eine digitale Denkweise, kritisches Hinterfragen, Kreativität sowie Sozial- und Selbstkompetenz voraus. Die Lernenden werden lernen müssen, selbständig sowie auch vermehrt in Teams zu arbeiten und sich zu reflektieren. Lehrer fungieren vermehrt als Coaches.

Die kaufmännische Berufsbildung hat sich vorgenommen, aktuelle und zukünftige Entwicklungen der Arbeitswelt an allen Lernorten durch konkrete Anwendungssituationen abzubilden. Diese eruptive Umwälzung der kaufmännischen Ausbildung fordert viel von Berufsfachschulen und überbetrieblichen Kursen. Bisherige didaktische Konzepte müssen komplett umgestellt werden.

Jede Reform bringt zwei Lager hervor, die Befürworter und die Kritiker. Letztere fragen, wieso ein Berufsschullehrer ein Fach studiert haben muss, wenn danach keines mehr unterrichtet wird. Harsche Kritiker wenden ein, dass die Konzentration auf das «Nachspielen» von betrieblichen Prozessen eher folgsame Arbeitnehmer*innen sowie angepasste Konsumenten und Konsumentinnen produziere, anstatt denkende Menschen fördere.

Kritik wird auch in Bezug auf die Abschaffung der Profile B und E laut. Bisher gab es für die Lernenden drei Profile zur Auswahl, danach nur noch zwei. Viele befürchten eine Nivellierung gegen unten, und dass leistungsstärkere Lernende ausgebremst werden.

Die KV Reform lässt die Herzen höher schlagen. Einig sind sich jedoch alle. Eine Modernisierung der beliebtesten Lehre der Schweiz ist notwendig. Gespannt warten wir auf den Start 2023, die Umsetzung und die ersten Erfahrungswerte. Wichtig wird auch die Frage sein, inwiefern diese Reform die Weiterbildung beeinflusst.

Bildquelle: https://impact.zhaw.ch/detail/von-gnus-loewen-und-der-komplexitaet-der-welt